Jordan Crandall
Documenta X
by Suzanne Prinz and Paul Sztulman

 

Man sagt, wir befänden uns im Augenblick mitten in der zweiten großen technologischen Revolution. Die erste brachte uns die Beschleunigung der Verkehrsmittel, des Eisenbahnsystems, der Autos und letztendlich den Flugverkehr. Die jetzige reitet auf elektromagnetischen Wellen und führte zu einer derartigen Beschleunigung der Kommunikation, daß Informationen heute in Echtzeit - das heißt sofort, egal woher sie kommen - zur Verfügung stehen. Mit Hilfe von Medienprothesen (Computer, Handy, Scanner etc.) kann der Mensch diese Informationen jederzeit abrufen und überall präsent sein - sofern er in der Lage ist, die Medien anzuwenden und ihre Nachrichten auszuwerten. Das bedeutet, daß er seine Rezeptionsmuster weitestgehend überarbeitet hat, um sie den durch die Technik vorgegebenen Mustern anzupassen. Da die elektronische Nähe nicht des physischen Kontakts bedarf, entsteht ein neuer Raum, der nicht mehr zwischen Drinnen und Draußen zwischen privat und öffentlich unterscheidet. Jordan Crandalls Multimedia-Installation Suspension betrachtet diesen durch die Vermittlung verschiedenster technischer Netzwerke entstandenen Raum »as a dynamic combination of reality and virtuality and explores its alternate modes of access, navigation, and inhabitation. (...) Suspension explores the ways in which viewing agencies, bodies, and inhabited spaces are mobilized and cross-formatted through various 'protocols' and 'vehicles'.« Das interaktive System von Videokameras, Videoeditoren und Projektoren, Computern, Scannern, digitalen Bildprozessoren und Bildkonvertern, ebensolchen Animationen, sowie diverser Justierungseinrichtungen versetzt den Ausstellungsbesucher bei Betreten von Suspension automatisch in einen jener neuen Hybridräume von gleichzeitig realer und virtueller (distributed) Präsenz. Ob er will oder nicht, beginnt er diesen zu beeinflussen. »The installation is crisscrossed with networks of projections and multiple agencies both local (within the Kassel exhibition space) and remote (via the Internet). Inhabitants simultaneously originate and interrupt the projective flow. The location of viewing is multiplied and mobilized, dispersed and re-routed. The interference patterns generate fields of competing orientations, which prompt calibrations no longer measured in terms such as distance and magnitude.« Rhythmus und Geschwindigkeit der Ereignisse bestimmen die Veränderungen im System Suspension, wo Materie und Energien (im Sinne elektrooptischer oder elektromagnetischer Kräfte) sich gegenseitig beeinflussen und den Benutzer/Betrachter zur steten Neuorientierung zwischen sich veräädernden Protokollen und wechselnden Gesichtspunkten zwingen.

Jordan Crandalls künstlerische Aktivitäten sind vielschichtig und grenzüberschreitend. Beispielsweise tritt er seit einiger Zeit auch unter dem Namen »The X-Art Foundation« auf. In dieser Rolle erkundet er andere Formen der Autorenschaft, die im Zusammenhang mit neuen Technologien entstehen. Unter dem Namen »Blast« begann er 1990 ein Projekt, das sich mit dem Wandel herkömmlicher Wahrnehmungs- und Rezeptionsmuster beim Lesen und Sehen beschäftigte. Darauf basierend, entstanden Analysen veränderter Produktionsformen im Publikationsbereich und Studien verschiedener Systematisierungs- und Reglementierungstechniken.

Paul Sztulman