[text] Jordan Crandall

Jordan Crandall : »Drive (Track 6), 1998-2000; »Heatseeking (Course track)«, 1999-2000

von Sabine Himmelsbach

Andy Warhol als Comicfigur im Comic »Miracleman«:
»Do you like this existence, Andy?
Oh, sure. It’s wonderful. I like being a machine.
It’s what I always wanted to be. You see, I used to carry a camera with me everywhere I went.
Now my eyes are cameras, recording all they see. I don’t need tape recorders any more – I am a tape recorder. This is heaven.« [1]

Jordan Crandalls Arbeit Drive [1998-2000] besteht aus einer Folge von sieben Filmen, die sich inhaltlich mit der Verbindung von traditionellem Sehen und neuen technologischen Bildgebungsmitteln beschäftigen. Traditionelle cinematographische Methoden werden von Crandall mit militärischen Zielerkennungstechnologien, Tracking-Systemen und Mustererkennungsprogrammen kombiniert. In Drive. Track 6 mit dem Untertitel Projectile/Gaze wird die »Aufrüstung des Sehens« in zwei Projektionen eindringlich visualisiert. Eine Projektion zeigt das Gesicht eines Mannes in extremer Nahaufnahme. Die Kamera ist auf sein Auge gerichtet, sein Blick hält der Eindringlichkeit der Kamera stand. In Zeitlupe sehen wir, wie sich das Augenlid langsam schließt und wieder öffnet, um erneut Kontakt mit dem Betrachter aufzunehmen. Auf der gegenüberliegenden Projektion sehen wir found footage Material militärischer High-tech Technologie: Radar- und Infrarotaufnahmen, Zielerfassungsbilder, Computerbilder, die darauf spezialisiert sind, sich bewegendes Kriegsgerät zu orten, zu klassifizieren und zu identifizieren. Dem menschlichen Blick werden militarisierte Visualisierungspraktiken gegenübergestellt, der Blick [gaze] wird gleichgesetzt mit dem Geschoss [projectile].

Ähnlich wie Drive ist auch die Arbeit Heatseeking [1999-2000] als siebenteilige Reihe aufgebaut, die sich ebenfalls inhaltlich mit der durch Technologie veränderten Wahrnehmung auseinandersetzt. Heatseeking wurde in der Grenzregion von San Diego und Tijuana aufgenommen und kreist um die Problematik der Grenzsituation, der dort eingesetzten Überwachungsmethoden und Abgrenzungsstrategien. In Heatseeking (Course Track) treffen sich zwei Golfspieler zu einem nächtlichen Schlagabtausch auf dem Golfplatz. Allein in der Dunkelheit, mit Night-Vision-Technologie einer Kamera beobachtet, spielen sie ihr Spiel. In der befremdlichen Szenerie wechselt die Kameraeinstellung zwischen dem spannungsgeladenen Spiel der beiden Akteure und der Weite des Golfplatzes. Mit schnellen Schnitten wechselt Crandall die Beobachtungsebenen. Kamerabilder der Golfspieler vor Ort wechseln mit Aufnahmen von Überwachungskameras und computergesteuerten Suchprogrammen, welche die beiden Protagonisten im Fadenkreuz des Systems erscheinen läßt. Unerwartet schlägt einer der Spieler mit seinem Schläger auf den Kontrahenten ein – es entsteht ein Kampf, sie wälzen sich auf dem Boden hin und her, die Kamera versucht ihnen zu folgen. Kaum wahrnehmbar schlägt Aggressivität in eine ambivalente Erotik um. Nur wenige Sekundenbruchteile sehen wir die nackten Körper der Kämpfenden in erotischem Gerangel. Abrupt endet das Video in einer Sequenz aus schnellen Schnitten und Brüchen, die an einen »Filmriss« erinnern.
Crandall hat den Einsatz unterschiedlichster filmischer Mittel in Heatseeking perfektioniert. Mit rasch wechselnden Kameraeinstellungen, S/W und Farbwechseln, dem Einsatz verschiedener medialer Ebenen wird der Betrachter mit einer Bilderflut konfrontiert, die er kaum verarbeiten kann. Die Tonspur verstärkt die Surrealität der Szenerie des nächtlichen Golfplatzes - statt dem erwarteten Geräusch des geschlagenen Golfballs setzt Crandall Tonmaterial von Gewehrschüssen ein, das die latente aggressive Grundstimmung unterstreicht.

In beiden Videos wird der Betrachter mit dem »strategischen Sehen« des Militärs und einer zunehmenden Militarisierung des Blicks konfrontiert. Die von Crandall benutzten Bilder militärischer Visualisierung sind aus der medialen Übertragung moderner Kriege bekannt. Signifikantes Beispiel ist der Golfkrieg, der weltweit im Fernsehen mitverfolgt wurde und dessen Bilder militärischer High-tech-Operationen sich beim Zuschauer eingeprägt haben. Inzwischen haben sich Geräte, die zunächst für den militärischen Bereich entwickelt worden sind, auch auf dem zivilen Markt durchgesetzt und eine breite Abnehmerschaft gefunden. Ein mögliches Umstellen vom Normalbild auf Infrarotaufnahmen gehört mittlerweile zum üblichen Feature von Videokameras und erfreut sich immer größerer Beliebtheit.
Unser Sehen wird durch technischen Hilfsmittel verändert, die als Bildproduzenten unsere Wahrnehmung mehr und mehr bestimmen. Vilém Flusser beschreibt die apparatische Sichtweise wie folgt: »Wir schauen alle, als ob wir ständig durch eine Kamera blicken würden.« [2] Crandall selbst spricht von "militarized images". [3] »Tracking, targeting, and identifying formats begin to seep into the way we see, behave, and desire. They enter into the very structure of perception. The camera marks the place of battle.« [4]
Computer erzeugen Bilder und lernen, Bilder zu analysieren und zu interpretieren. Die Mustererkennungs-Bildanalyse eines Computers beschreibt ein neues Sehen jenseits der Zentralperspektive. Das Bild entsteht prozesshaft aus der Analyse von Daten. Jonathan Crary beschreibt in seinem Buch Techniken des Betrachters die Abstraktion des Visuellen, die Veränderung unserer Wahrnehmung durch computergesteuertes Sehen. Er weist darauf hin, dass neue Techniken der Bildproduktion zu dominanten Visualisierungsmodellen werden. .« [5]

Die neuen Technologien beeinflussen sowohl unsere Wahrnehmung als auch unsere Körper. Lesbarkeit von Bewegung kann erst durch die Analyse der zugrundeliegenden Muster erreicht werden. Muybridge und Marey haben in ihren Studien des menschlichen Körpers Bewegung durch Sequenzierung lesbar gemacht. »In computerized tracking and targeting systems, however, movement is indicated differently. It is represented by way of its processing throught databases. A new kind of moving image results - these new images do not so much represent movements as track them.« [6] Die Computertechnologie zeichnet Bewegung auf und analysiert sie. Der Film, das »bewegte Bild«, wird durch die Nachzeichnung von Bewegung verändert. Bewegung wird nicht präsentiert, sondern durch Daten prozessiert. Reale Bewegung und Darstellung am Computer werden in Crandalls Arbeiten vermischt und zur Deckung gebracht. Die Technologien der Moderne konstruieren den Körper des Betrachters neu. »There is a kind of mutation of images that occur in this landscape, and that is that images become part of processing systems, parts of apparatus that "see back" at us. It involves a kind of reversal of vision, displacing our location ass privileged sites in the viewing exchange. We are seen, before we see. We are identified, before we identify. There are biometric systems, and other kinds of systems, which lock onto you, identify you through your behaviour patterns or biological characteristics. It is a kind of switching of positions, and this is a very important change to think about.« [7]

1 Neil Gaiman and Mark Buckingham, in: Miracleman 19 (Forestville, Calif.: Eclipse Comics, 1991, zit. nach: Scott Bukatman, Terminal Identity. The virtual subject in postmodern science fiction, Durham and London 1993, p. 328. ^

2 Vilém Flusser: »Bilderstatus«, in: Christos M. Joachimides u. Norman Rosenthal (Hg.), Metropolis. Internationale Kunstausstellung Berlin 1991, Stuttgart 1991, p. 51. ^

3 Jordan Crandall, »Notes for [!] Militarized Images«, nettime-Mailinglist, 16. April 1999, http://www.desk.nl/nettime~archive ^

4 Jordan Crandall, http://www.rhizome.org/object.rhiz?2070 ^

5 Jonathan Crary, Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert, Dresden/Basel 1996, p. 12. ^

6 Jordan Crandall and Lawrence Rinder, »Transcript of presentation at The Kitchen, New York«, http://www.blast.org/crandall/interviews/kitchen.html ^

7 ebd. ^

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